Im Labor von Lars Steinmetz und seinem Team am Forschungsinstitut EMBL (Europäisches Laboratorium für Molekularbiologie) in Heidelberg hängt zwischen Schränken voller Reagenzgläser und Petrischalen eine Bildmontage. Sicher nicht ganz ernst gemeint, verrät sie doch einiges darüber, mit welchem Blick das Team auf seinen Chef schaut: Zu sehen ist eine Truppe von Superhelden aus einem Comic-Universum. Auf die Gesichter hat jemand die Fotos der Mitarbeitenden montiert. Vorneweg eilt Batman alias Steinmetz mit einem jungenhaften Lächeln im Gesicht, breiter Stirn und rotblonden Locken auf dem Kopf. Seinem Team ruft er zu, er habe eine neue Idee für ein Projekt, eine weitere Studie, ein Startup und er dürfe morgen seine eigene Hochzeit nicht vergessen.
Man müsste schon Superkräfte haben, um mit Steinmetz mitzuhalten, könnte eine der Lehren lauten. Auf die Bildmontage angesprochen, zeigt Lars Steinmetz dasselbe Lachen wie auf dem Bild. Er hatte vor einigen Monaten das Team nach Seefeld zu seiner Hochzeit eingeladen. Darauf habe jemand das witzige Foto aufgehängt. „Und ja, die Zeit ist knapp“, schiebt er hinterher.
In gewissem Sinne sind Genetikerinnen und Genetiker tatsächlich so etwas wie Superwissenschaftlerinnen bzw. -wissenschaftler unserer Generation. Forschende aus China und den USA ermittelten innerhalb weniger Tage die Gensequenz von Sars-CoV-2, die zum Impfstoff gegen das Virus führte. Genforscher sind es auch, die sich ernsthaft aufs Revers geschrieben haben, Krankheiten wie Krebs oder Alzheimer in den kommenden Jahrzehnten zu besiegen oder zumindest doch einzudämmen. Von der großen Mehrheit der Menschen unbemerkt, vollziehen sich in den Lebenswissenschaften gerade so grundlegende Veränderungen wie die nach der Erfindung des Mikroskops.
Von einem Paradigmenwechsel sprechen Historikerinnen und Historiker, wenn Techniken oder Errungenschaften in der Wissenschaft die Grenzen des Möglichen neu einzäunen. In der Genforschung spricht man ungekünstelt von gleich zwei Ereignissen, die die Wissenschaft zuletzt umgekrempelt haben: die Sequenzierung des Genoms, die Entschlüsselung einer Art Bauplan des menschlichen
Lebens im Jahr 2003. Und die Entdeckung der Techniken, die Genetik zum Wohle des Menschen zu nutzen.
Den ersten Paradigmenwechsel erlebte Steinmetz als Lehrling und Doktorand in Stanford. Damals verbrachte er monatelang im Labor mit einer Bäckerhefe, einem in sich perfekten, im Verhältnis zum Menschen aber recht simplen Organismus. 6.000 Gene stecken in einer Hefezelle, 22.000 sind es im menschlichen Körper. Mit den damaligen Verfahren der Gensequenzierung versuchte Steinmetz, hinter die Geheimnisse der sperrigen Buchstabenkombinationen der DNA zu gelangen, um so auch die Bauanleitung im menschlichen Körper besser zu verstehen. Warum teilen sich Zellen, welche Auswirkungen haben genetische Unterschiede?