Forschung mit handfestem Bezug

Was für ein kostbares Gut Wasser ist, das war in Deutschland selten so spürbar wie im Dürresommer 2022. Wie man die Ressource Wasser schonen kann, darüber haben sich die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen am Ferdinand-Steinbeis-Institut schon vor dem trockenen Sommer Gedanken gemacht. Und zwar ganz konkret: mit einem Projekt, das in Heilbronn, unterstützt von der Dieter Schwarz Stiftung, modellhaft aufzeigt, wie es zu schaffen ist, dass kostbares Leitungswasser aus dem Bodensee nicht im Leitungsnetz versickert.

Undichte Stellen in Wasserrohren können dafür sorgen, dass deutlich weniger Wasser bei uns durch den Hahn fließt als möglich. In Deutschland versickern wegen undichter Stellen mehr als zehn Prozent des kostbaren Wassers. Im Heilbronner Netz kommen laut aktuellen Erhebungen vermutlich sogar 18 Prozent des eingespeisten Trinkwassers nicht beim Endverbraucher an.

Ein sehr handfestes Problem. Und genau deshalb die richtige Fragestellung für das Ferdinand-Steinbeis-Institut. Die Forschungseinrichtung auf dem Bildungscampus in Heilbronn ist keine Dependance eines universitären Elfenbeinturms, sondern ein Institut, das wissenschaftliche Forschung auf internationalem Niveau rückführt auf die Lösung einer konkreten Fragestellung. Duale Forschung ist das Prinzip: Was hier erdacht und entwickelt wird, hat immer einen handfesten Bezug zu den gegenwärtigen tatsächlichen Herausforderungen von Unternehmen.

„Wir wollen mit unserer Arbeit einen realen Nutzen für Wirtschaft und Gesellschaft erzielen“, sagt Prof. Dr. Heiner Lasi, wissenschaftlicher Leiter des Ferdinand-Steinbeis-Instituts. Im Blick hat das Institut dabei insbesondere den Mittelstand. Wie dieser mithilfe von Digitalisierung fit für die Zukunft gemacht werden kann, ist ein zentrales Anliege der Forschungseinrichtung. Allerdings:
Um blinde Technikverliebtheit geht es dabei nicht. Auch Fragen nach der gesellschaftlichen Akzeptanz von künstlicher Intelligenz gehören zu den Themen, denen sich das Team an zwei Standorten in Heilbronn und Stuttgart stellt. „Es gibt Technologien, die
brillant, aber ethisch bedenklich sind. So etwas denken wir mit“, sagt Lasi. Was damit zu tun hat, dass kluge Köpfe aus vielen Fachbereichen im Ferdinand-Steinbeis-Institut tätig sind. Interdisziplinarität wird hier gelebt: Neben Informatikern oder Maschinenbauerinnen gibt es eben auch Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus den Disziplinen Psychologie, Soziologie oder Politik im Team.

„Wir sprechen hier auch die Sprache der Wirtschaft und der Industrie“

„Ich habe eine wissenschaftliche Karriere gemacht, ohne das je geplant zu haben“, sagt der Wirtschaftsinformatiker Heiner Lasi, der in schnellem Tempo spricht und dabei seinen süddeutschen Zungenschlag nicht verleugnet. Nach Promotion und Habilitation an der Universität Stuttgart hat er sich allerdings von der staatlichen Universität verabschiedet und 2015 in Stuttgart zusammen mit einem Mitarbeiter das Ferdinand-Steinbeis-Institut in Stuttgart aufgebaut. Heute arbeiten rund 35 Menschen an Fragen zur digitalen Transformation im Spannungsfeld von Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Seit 2019 gibt es den Standort auf dem Heilbronner Campus – nachdem die Dieter Schwarz Stiftung auf das sich gleichsam an Wirtschaft und Wissenschaft ausgerichtete Institut aufmerksam geworden war.

„Als Wissenschaftler sollte man bei der Lösung von Problemen nicht in einzelnen Fächern denken, sondern sich vernetzen und interdisziplinär denken. Genau das ist im klassischen Wissenschaftsbetrieb aber wenig verbreitet“, begründet Lasi seinen Ausstieg aus der Universität, der aber keineswegs ein Ausstieg aus der internationalen Forschung war. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die im Institut aus konkreten Fragestellungen heraus gewonnen werden, werden publiziert und auf internationalen Konferenzen vorgetragen. „Wir sind mit unseren Schwerpunkten wie Industrial Intelligence durchaus ein Leuchtturm im wissenschaftlichen Umfeld“, sagt Heiner Lasi. Die Publikationsliste kann sich sehen lassen, die Zahl der abgeschlossenen Projekte ebenso: 39 sind es, an die in der Regel nach
jeweils einem Jahr ein Knopf gemacht wird. Auch das gehört zur DNA des Instituts: Wer der Wirtschaft und der Gesellschaft Nutzen stiften will, darf sich nicht verzetteln, sondern muss liefern. Die Auftraggeber reichen von Liebherr bis zur Evangelischen Landeskirche, die Projekte umfassen den regionalen Mittagstisch in einer Betriebskantine genauso wie die Intralogistik.

„Wir müssen unser Forschungsbudget selbst erwirtschaften“,

erklärt Heiner Lasi. Die Mittel dazu kommen von Bund und Land für einzelne Projekte, auch Stiftungen, wie die Dieter Schwarz Stiftung, geben Geld für diese wichtige Arbeit. Stichwort erwirtschaften: die Geschäftsführung des Instituts hat Michael Köhnlein inne. Ein Mann, der viele Jahre als Geschäftsführer und Gesellschafter in einem mittelständischen Unternehmen tätig war. „Wir sprechen hier auch die Sprache der Wirtschaft und der Industrie“, sagt Köhnlein. „Wir“ – denn das gilt eben nicht nur für ihn selbst. Im Team sind viele, die eine
Karriere in einem Unternehmen hinter sich haben und jetzt daran beteiligt sind, dass der Transfer von Wissenschaft und Wirtschaft gelingt.

Damit er das tut, sind in die Projekte von Anfang an auch Unternehmen eingebunden. Auch beim Aufspüren von Leckagen im Heilbronner Wasserleitungsnetz ist das so. Da gibt es die HNVG, die für die Trinkwasserversorgung in Heilbronn zuständig ist. Ebenso ist die Expertise eines Bauunternehmens gefragt, das Rohre einbaut, austauscht, Ventile wechselt. Das Versicherungsunternehmen, das ein großes Interesse daran hat, dass Leitungsschäden frühzeitig bemerkt werden und es gar nicht erst zu einem Rohrbruch kommt, ist ebenfalls beteiligt, genauso wie die Herstellfirma digitaler Wasseruhren. Dann gibt es noch das Start-up, das die gewonnenen Daten in Schaubilder übersetzt, sozusagen einen digitalen Zwilling der vorgefundenen Realität aus Leitungen, Schächten, Durchfluss und Wasserdruck erstellt. Das Versuchsfeld ist erst einmal überschaubar: eine Straße mit fünf Häusern und einem Mehrfamilienhaus. Dort wurden die Sensoren und die digitalen Wasseruhren eingebaut.

Auch Aufklärung und Überzeugungsarbeit gehören zum Projekt dazu: Lasi war bei den Gesprächen an der Haustür dabei, um die Bewohnerinnen und Bewohner zu überzeugen, dass es für sie sinnvoll ist, digitale Zähler einbauen zu lassen. Jetzt geht es darum, aus den Daten abzuleiten, wie Algorithmen gestaltet sein müssen, damit Abweichungen, sprich lecke Stellen oder eine permanent rinnende
Toilettenspülung, erkannt werden. „Aus einem kleinen Modell skalieren wir dann die nächstgrößere Ebene“, sagt Lasi über das Verfahren. Fest steht aber jetzt schon: Es scheint möglich, den Verlust im Leitungsnetz von 18 Prozent auf unter sechs Prozent zu senken, wenn man die Digitalisierung entsprechend nutzt. Ein gangbarer und für die Gesellschaft überaus sinnvoller Weg, um zunehmend kostbarer werdendes Wasser nicht zu verschwenden.